Der Name der Fähre, die uns von Inis Óirr zurück aufs irische Festland brachte, war ein Omen: „Tranquility“ – Ruhe. Nur zwei Tage auf einer kleinen Insel können trotz Terrornachrichten aus Deutschland Wunder bewirken. Der Puls im behäbigen Gleichtakt, das alltägliche Leben abgeschaltet, die Gedanken im Hier und Jetzt, in diesem Stadium wollte ich weiterhin bleiben.
Und so war es konsequent, an meiner ‚Digital Detox‘ festzuhalten, als Fionnuala und ich am Abend, wieder in Galway, auf ein Getränk in die Crane Bar gingen. Dieser Pub liegt jenseits der Touristenströme. Menschen, die die Musikinstrumente Bodhrán, die Fiddle oder Harfe spielen, kehren hier ein, um irische Melodien zu üben. Wir beide wollten unsere gemeinsamen Tage hier zum Abschluss bringen, sollte Fionnuala doch am nächsten Morgen wieder nach Belfast reisen, wo die Irin normalerweise lebt.
In der Bar gesellten sich zwei Frauen mittleren Alters zu uns. Schnell kamen wir ins Gespräch – wir waren in Irland, wo man sich mit „How are you?“ begrüßt und dann mit weiteren Fragen und Antworten nachlegen kann (wohlgemerkt: Die Nichtiren antworten ausführlich auf diese Frage, Iren sagen meistens nichts).
Die sichtlich erkennbaren Touristinnen erzählten uns, sie seien aus „Brooklyn, New York“. In der Kleinstadt Galway mal so eben zwei Menschen aus New York City treffen, die dann auch noch im multikulturellen Viertel dieser Weltstadt leben, das war ein Zufall, der mir gefiel.
Es war meine Assoziation mit dem Roman „Brooklyn-Revue“ des US-amerikanischen Schriftstellers Paul Auster, die mich dazu bewegte, die beiden Akademikerinnen nach Buchtipps zu fragen (eine der beiden lehrt Soziologie an der New York School for Social Research, an der einst die deutsche Philosophin Hannah Arendt wirkte).
Denn das hatte ich während meiner Reise durch Kalifornien im November 2014 herausgefunden: US-Autoren, deren Bücher in Deutschland verkauft werden, können in den USA ziemlich unbekannt sein, weil sie gezielt für den europäischen Buchmarkt schreiben (z. Bsp. Donna Tart, 'Der Distelfink'). Möchte man also die Bücher lesen, die Leute jenseits des großen Teichs verschlingen, sollte man am besten Buchliebhaber der Vereinigten Staaten fragen. Diese einmalige Chance witterte ich.
Laura und Rachel, so heißen die beiden, wussten Bescheid und waren auskunftsfreudig. Doch wir hatten ein kleines Problem. Kein Blatt Papier. Und so notierte Rachel auf einem runden Heineken-Bierdeckel die Bücher, die ihnen einfielen. Darunter von Noviolet Bulawayo „We need new names“ oder „Invisible Man“ von Ralphellision. Mein Smartphone konnte ich nicht als Notizbuch nutzen, denn bekanntlich war ich auf ‚Digital Detox‘ und hatte es nicht dabei.
Meine digitale Abstinenz musste ich am Rande erwähnt haben. Denn als Laura ihren mobilen Computer zückte, um zum Ende unserer Begegnung meine Email-Adresse zu notieren, sagte sie sofort: „You do not have to touch it“, womit sie den Bildschirm meinte. Als ob ich so orthodox wie eine Jüdin sei, die an einem Schabbat keinen Lichtschalter betätigt. Vielleicht hatte ich diesen Eindruck erweckt? Beeindruckt von ihrem vollsten Verständnis buchstabierte ich Laura meine elektronische Adresse. Um ehrlich zu sein, ich hätte auch den Bildschirm berührt…. Doch Lauras Eintippen der Buchstaben führte dazu, dass ich sagen kann, ich war zehn Tage lang völlig offline.
Während der restlichen Zeit, die mir noch in Galway verblieb, lebte ich weiterhin analog. Am nächsten Tag ging ich in die Buchhandlung „Charlie Byrne‘s“ und streckte der Buchhändlerin den Bierdeckel aus der Crane Bar entgegen. Sie fand es toll, mit diesem Teil durch die Reihen der Regale zu eilen und nach den Titeln Ausschau zu halten. Bedeutsamerweise gab es genau jenes Buch vorrätig, das Rachel mit einem Stern markiert hatte, als ich wissen wollte, welchen ihrer Tipps sie mir besonders empfehle (welch digitaler Schelm, der hier an ein Like oder Favorite bei Facebook bzw. Twitter denkt ;-).
Dieses empfohlene Buch heißt „Americanah“, die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie hat es geschrieben. Es handelt von der jungen Ifemelu, die von Nigeria in die USA emigriert und dort den Rassismus der Vereinigten Staaten erfährt. Ich hätte dieses Buch niemals gelesen, hätte ich nicht Laura und Rachel an jenem Abend in der Crane Bar gefragt.
Und so bin ich zum Abschluss meiner Tage in Irland sehr froh, dass ich mein Smartphone in dieser Zeit verbannt habe. Denn ich habe sehr intensiv und umittelbar gelebt.
Und wenn die News, Tweets und Posts demnächst wieder über meine Timeline rauschen, dann weiß ich, dass es auch anders geht: Weniger auf den Bildschirm starren und mehr an jene Momente zu denken, als ich auf Inis Óirr war: Ich sehe den Leuchtturm und höre die Brandung... Entspannung... Utensil für die Tage, an denen meine Präsenz online ein Teil meines Lebens ist.
Ich bedanke mich bei Fionnuala und ihrer Familie für die herzliche Gastfreundschaft in Galway. Go raibh maith agat!
Köln, den 27.08.2016, die Reisereporterin