Von der Venloer Straße in Köln bin ich gewöhnt, dass türkische Bäckereien, Buchhandlungen und Vereine sich entlang meines Weges säumen, um Kultur, Köstlichkeiten oder andere Dienste anzubieten. Als ich früh am Morgen des 21.07.2021 in Flensburg durch die Norderstraße ging, durfte ich erfahren, dass es sich dort ähnlich bezüglich der dänischen Kultur in Deutschland verhält.
Mein Ziel war der deutsch-dänische Grenzübergang "Schusterkate" bei Wassersleben, gut fünf Kilometer vom Stadtkern Flensburgs entfernt. Dieser würde allein aus einer Holzbrücke bestehen, so hatte ich es in einem Reiseführer gelesen. Folgendes habe ich dabei erlebt und gesehen, vielleicht wollt Ihr die Route ja einmal selber gehen (am Ende des Artikels findet Ihr weiterführende Links zu den Stationen):
In "Migges's Danish Bakery", ganz am Anfang der Straße vom Zentrum aus gelegen, mag einkehren, wer sich nach einer leckeren Zimtschnecke und viel Kaffee sehnt. Denn dieser wurde mir, ganz nach skandinavischem Usus, umsonst nachgeschenkt. Also beste Voraussetzung, um wachen Auges weiter zu gehen und zu sehen, dass die Norderstraße in Flensburg ein Zeugnis der deutsch-dänischen Geschichte ist.
Schon seit Jahrhunderten gibt es Däninnen und Dänen im hohen Norden der Bundesrepublik. Dort siedelten sie schon in der Wikingerzeit. Ab 1200 lebten sie in dem Herzogtum "Schleswig", das dem Bundesland Schleswig-Holstein seinen Namen gibt. Nach dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 herrschten Preußen und Österreich gemeinsam über Schleswig (und Holstein).
Bei Schleswig-Holstein müssen wir genau genommen von Südschleswig sprechen. Denn 1920 stimmte die Bevölkerung Schleswigs dafür, dass der nördliche Teil dänisch und der südliche Teil deutsch werden sollte. Die Konsequenz: Heute leben etwa 10.000 Deutsche in Nordschleswig, und es gibt ca. 50.000 dänische Südschleswiger/innen in Deutschland. Ihr Mann an vorderster Front ist Stefan Seidler.
Das Ladenlokal mit der Hausnummer 78 dient als Wahlkampfbüro des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW). Gegründet 1948, verficht dieser Verein die Interessen der dänischen Südschleswiger in Schleswig-Holstein. Nach rechtlichem Statut ist der Verband eine Minderheitenpartei und damit ausgenommen von der Fünf-Prozent-Hürde auf Landes- wie Bundesebene.
Als ich am 21. Juli vorbeikomme, trifft dort im selben Moment Herr Seidler zu einem Treffen mit seinem Wahlkampfteam ein. Plakate an der Fensterfront hatten mich schon informiert: Dieser Mann möchte nach Berlin. Zum ersten Mal seit 1961 tritt die Minderheitenpartei SSW in Schleswig-Holstein wieder zur Bundestagswahl an. Würden ca. 40.000 - 50.000 Landesbürger/innen Herrn Seidler mit ihrer Zweitstimme wählen, hätte der Politiker, der eine dänische Mutter und einen deutschen Vater hat, einen Sitz im 20. Deutschen Bundestag.
Ich bin neugierig und frage den Flensburger unverblümt, ob er sich als ein Däne oder Deutscher fühlt. Seine Antwort ist diplomatisch und europäisch zugleich: Wenn er gefragt würde, ob er mehr seine Mutter oder seinen Vater lieben würde, könne er die Frage nicht beantworten. Er liebe beide und sei in diesem Sinne genauso Däne wie Deutscher.
Stefan Seidler zeigt auf die Häuser in der Umgebung. Jenes Haus sei nach dem Stil dänischer Architektur erbaut, das andere nach friesischer Bauart. Ein paar Häuser weiter entfernt, in der Norderstraße Nr. 59, sehe man die Dänische Zentralbibliothek für Südschleswig. Und das historische Flensborghus mit braunen Backsteinen, direkt neben seinem Wahlkampfbüro gelegen (Norderstraße Nr. 76), sei seit 1920 zentraler Sitz für Kultur, Verwaltung und Interessenverbände der dänischen Minderheit in Deutschland.
Ich spüre, dass es ein besonderer Zufall war, Herrn Seidler zu begegnen. Ich wünsche ihm viel Erfolg für seinen Wahlkampf und gehe weiter Richtung deutsch-dänische Grenze, wobei ich das historische "Nordertor" passiere.